Moritz Schlick: Texte zu Einsteins Relativitätstheorie

Felix Meiner Verlag, Hamburg 2019

Seit einiger Zeit wurde ich u. a. von Maria Reinecke auf Whitehead aufmerksam gemacht; doch das Stichwort, man müsse alles als „Prozess“ denken, schien mir etwas „substanzlos“ und erregte eher mein Misstrauen, ob es sich lohne, diese Erklärungsversuche wirklich verstehen zu wollen. Nun stieß ich unvermutet beim „Hofphilosophen“ von Einstein auf Aussagen, dass genau dies die Stoßrichtung nach Einstein philosophisch sei! Diese Aussagen waren mir anscheinend vor dem Hinweis auf Whitehead nicht bedeutsam gewesen, inzwischen erregen sie um so mehr mein Interesse. Es fällt sogar der Name Berkeley!

Innerhalb der von ihr selbst gezogenen Grenzen bestätigt nun die Relativitätstheorie in der Tat auch manche Einzelentdeckung empiristischer Philosophie auf neuartige Weise. Eine der größten Leistungen Humes war die Kritik des Substanzbegriffs; sie lief darauf hinaus, den Begriff der Substanz als eines verborgenen, unbekannten Trägers der Eigenschaften zu zertrümmern; Substanz sei nicht etwas Besonderes neben oder hinter den Eigenschaften, nicht ein Ding, an dem sie haften, sondern nur ein Name für einen Inbegriff von Eigenschaften. Nun, die Relativitätstheorie kam durch ihre Kritik der Äthervorstellung zu einem Ergebnis, das sich unmittelbar als eine Anwendung jenes philosophischen Gedankens auffassen läßt. Die Wirkungen von einem Körper zum andern durch das Vakuum werden nach der Theorie nicht durch einen stofflichen Äther übertragen, sondern das Vakuum ist von Zustandsgrößen erfüllt, z. B. von elektrischen und magnetischen Feldstärken, die nicht Zustände von irgend etwas, sondern selbständig für sich da sind und keines Trägers bedürfen. Ihr Wechsel, ihr Entstehen und Verschwinden stellt ein substratloses Geschehen dar, das dem Philosophen schon lange geläufig ist (z. B. aus der »Aktualitätstheorie« des Seelischen), und an das nun auch der Physiker sich gewöhnt. Die ponderable Materie wird schließlich in gleicher Weise in Zustandsgrößen (Vektoren und Tensoren) aufgelöst, und so besteht die Welt der modernen Physik nicht aus Dingen, Substanzen, an denen irgend etwas geschieht, die sich verändern und bewegen, sondern die letzten Elemente, aus denen das Universum sich aufbaut, sind Geschehnisse, Ereignisse. Ein körperliches Ding, z. B. ein Goldatom, ist nichts anderes als ein Komplex von Geschehnissen, sein Dasein ist ein Prozeß, es besteht darin, daß gewisse Ereignisse sich abspielen.

S.154 f.

Fragt man nun: wie ist die Fortpflanzung der Lichtwellen möglich, wenn es keinen Äther gibt? so lautet die Antwort natürlich: sie bedürfen keines Trägers. Die Größen, die man früher als Bestimmungsstücke des Ätherzustandes auffaßte, die elektrische und die magnetische Feldstärke, brauchen gar nicht »Eigenschaften« eines Mediums, einer beharrenden Substanz zu sein, sondern sie haben »selbständige« Existenz, obwohl sie in unaufhörlichem Wechsel, in stetem Entstehen und Vergehen begriffen sind.

Manche Forscher betrachten, um wenigstens in der Redeweise an die Substanzvorstellung anzuknüpfen, jene Zustandsgrößen als Eigenschaften oder Bestimmungsstücke der Energie. Planck redet z. B. von der Lichtgeschwindigkeit als einer Eigenschaft der elektromagnetischen Energie. Das ist natürlich zulässig, solange man nicht die Energie wiederum substantiell auffaßt als Träger der Eigenschaften, als etwas von ihnen Verschiedenes, ihnen zugrunde Liegendes. G. Helm meinte vom Energiebegriff, »daß er die Gefahr einer neuen Substanziierung ausschließt«. Wenn das auch nicht ganz zutreffend ist, wie das Beispiel Ostwalds lehrt, so verführt doch in der Tat die Art, wie das Prinzip der Erhaltung der Energie in der mathematischen Physik immer zum Ausdruck kommt, kaum dazu, sie als eine metaphysische Substanz zu denken, sondern bring auf den richtigen Weg, sie als den bloßen Ausdruck einer Gesetzmäßigkeit alles Geschehens zu fassen, das sich nämlich immer so abspielt, daß bestimmte Beziehungen zwischen den Größen unverändert dieselben bleiben.

Diese Revision des Substanzbegriffes nun, nach welcher die Annahme von Substanzen als hinter den Dingen verborgenen Trägern ihrer Eigenschaften verworfen wird, ist ein Gedanke, der in der Philosophie längst aufgetaucht war und dort schon eine lange Entwicklung durchgemacht hatte, durch den sie also der Wissenschaft tatsächlich vorausgeeilt war. Wir finden ihn bei Hume als einen seiner wichtigsten Gedanken, ebenso, doch in mehr metaphysischer Gestalt, schon bei Berkeley; bei beiden allerdings kamen als »Eigenschaften« nur die sinnlichen Qualitäten in Betracht. Dasselbe gilt von dem Wiederaufleben des Gedankens im modernen Positivismus. In viel reinerer Form erscheint er bei Kant! In seinem System ist dem Substanzbegriff alle metaphysische Bedeutung genommen und er wird zu einem Ausdruck der Gesetzlichkeit der synthetischen Einheit der Apperzeption. Ob ihm damit nicht als Ersatz für die verlorene metaphysische Bedeutung eine zu hohe erkenntnistheoretische von Kant vindiziert wird, braucht hier nicht untersucht zu werden. Uns genügt es zu sehen, daß diese wichtige Wahrheit hier längst ganz unzweideutig und klar formuliert war, und wir erleben nun, daß die Entwicklung der Forschung den Physiker durch das Relativitätsprinzip zwingt, diese Wahrheit anzunehmen, indem sie ihn einen Fall kennen lehrt, in welchem es aus physikalischen Gründen überhaupt unmöglich ist, eine beharrende Substanz, nämlich den »Äther«, als Tragendes und Zusammenhaltendes hinter den »Eigenschaften« vorauszusetzen.

[…]

Doch jetzt wird der vom philosophischen Denken lange errungenen Erkenntnis durch die Kraft der experimentellen Erfahrung das Tor in die Naturwissenschaft weit geöffnet. Dort kann sie nun frei herrschen und manches Vorurteil besiegen, das den Gang der Forschung sonst wohl auf falsche Bahnen leitete, z.B. die Bahn des populären Materialismus, oder das hartnäckige Suchen nach einer rein mechanischen Erklärung der Natur, oder die metaphysische Wendung der Energielehre. Hat der Berkeley-Hume-Kantsche Gedanke aber einmal den Sieg erfochten, so wird er auch aus der exakten Naturwissenschaft nie wieder verschwinden können, selbst dann nicht, wenn etwa das Relativitätsprinzip, welches ihn in der Experimentalforschung zur Geltung brachte, durch künftige Erfahrungen einmal widerlegt werden sollte. Denn er bedarf keines Helfers, um sich durchzusetzen, sondern trägt seine überzeugende Kraft in sich selbst. Nachdem einmal erkannt ist, daß der Substanzbegriff nur eine besondere Form des Gesetzesbegriffs darstellt und sich auf diesen zurückführen läßt, kann diese große Wahrheit der Wissenschaft nicht wieder verloren gehen.

S. 54 ff.

Quelle Titelbild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/17/Schlick_sitting.jpg?uselang=de

17 Kommentare zu „Moritz Schlick: Texte zu Einsteins Relativitätstheorie

  1. Überraschung, Freude, Christian, und nicht zuletzt Dank, dass Du auf Moritz Schlick verweist (den ich bislang eher vernachlässigt habe) und ihn zitierst: Freude darüber, dass so viele online-Gedanken-Puzzleteile, überall vertreut, scheinbar disparat umherschwirrend, plötzlich zusammenfinden. Ich glaube tatsächlich, dass Philosophie, Wissenschaftstheorie, Induktive Metaphysik in Deutschland anders, fruchtbarer verlaufen wäre, wenn Schlicks und Whiteheads frühe Meta-Einsichten gebündelt, verstärkt mit- und weitergedacht worden wären; wichtige, wesentliche prozessphilosophische Aspekte hätten sich besser im offiziellen Diskurs durchsetzen können: Einstein – Schlick -Whitehead: das wär’s gewesen! Kann’s ja noch werden!
    Und ich staune: Die Schlick-Zitate könnten direkt aus Whiteheads prozessphilosophischer Feder stammen; was Schlick hier bloß andeutet, hat Whitehead grundlegend in seinem Hauptwerk „Prozess und Realität“ 1929 systematisch ausgearbeitet, dargelegt.
    z.B. (Schlick-Zitate, s.o.):
    „…so besteht die Welt der modernen Physik nicht aus Dingen, Substanzen, an denen irgend etwas geschieht, die sich verändern und bewegen, sondern die letzten Elemente, aus denen das Universum sich aufbaut, sind Geschehnisse, Ereignisse. Ein körperliches Ding, z. B. ein Goldatom, ist nichts anderes als ein Komplex von Geschehnissen, sein Dasein ist ein Prozeß, es besteht darin, daß gewisse Ereignisse sich abspielen…“
    „…in stetem Entstehen und Vergehen begriffen…“ (Zitat Ende)

    Da sind sie, Whiteheads ‚actual entities‘, die letzten nicht mehr hintergehbaren Einzelwesen in stetem Entstehen und Vergehen! Dass es bei allem prozesshaften ständigen Werden und Vergehen auch Dauerhaftes, Beständiges gibt, darauf geht Whitehead besonders ein…
    Whiteheads ‚Prozess und Realität‘: ein Muss – sag ich doch. 🙂
    Danke, Christian.
    Dir weiterhin Erfolg!
    Gruß aus Berlin,
    Maria

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    1. Herzlichen Dank für dein Interesse und dein Kommentar. Ich fragte einmal ChatGPT, welche Beziehungen es zu Einstein und Schlick gäbe. Aber ich befürchte, dass ChatGPT eher ein Geschichtenschreiber ist, der die Stichworte in einen Text verwandelt. Stimmt es, dass Einstein und Schlick wichtige Impulsgeber waren?

      „Whiteheads Philosophie wurde hauptsächlich von verschiedenen Strömungen und Denkern beeinflusst, darunter auch die Relativitätstheorie von Albert Einstein und die philosophischen Ideen von Moritz Schlick. Allerdings kann man nicht sagen, dass seine Philosophie ausschließlich von einem dieser beiden beeinflusst wurde.

      Alfred North Whitehead, ein britischer Mathematiker und Philosoph, entwickelte eine philosophische Denkweise, die als Prozessphilosophie bekannt ist. In dieser Philosophie steht die Vorstellung von Prozessen und Veränderungen im Mittelpunkt, im Gegensatz zu einer statischen Betrachtung der Realität.

      Die Relativitätstheorie von Einstein, insbesondere die Idee der Kontinuität von Raum und Zeit sowie die Konzepte der Relativität und des Ereignishorizonts, haben Whiteheads Denken beeinflusst. Whitehead betrachtete die Welt als eine dynamische Gesamtheit von sich entfaltenden Prozessen und betrachtete Raum und Zeit als relativ und kontextabhängig.

      Moritz Schlick, ein österreichischer Philosoph und Begründer des Wiener Kreises, hatte Einfluss auf Whiteheads Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnistheorie. Schlick betonte die Bedeutung der Empirie und des logischen Positivismus in der Wissenschaft. Obwohl Whitehead nicht alle Aspekte des logischen Positivismus übernahm, wurde er dennoch von Schlicks Ideen beeinflusst.

      Insgesamt kann man sagen, dass sowohl die Relativitätstheorie von Einstein als auch die Ideen von Moritz Schlick in gewissem Maße Whiteheads Denken geprägt haben. Whiteheads Philosophie ist jedoch eine eigenständige Theorie, die auf einer breiten Palette von Einflüssen aufbaut und verschiedene Aspekte der Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie integriert.“

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  2. Lieber Christian,

    nachdem Du mir schon häufiger, freundlicherweise einen Kommentar auf meiner Seite hinterlassen hast, wollte ich auch mal einen Kommentar zu Deinem hervorragenden Gedanken-Impuls hinterlassen, um die Diskussion in Gang zu bringen.

    Auch wenn ich mit den „Jungs“ vom „Wiener Kreis“ ein wenig „auf dem Kriegsfuß stehe“, müsste ich „Einsteins Hofphilosophen“ Herrn Schlick und Dir in diesem Punkte durchaus beipflichten.

    Die „Kritik des Substanzbegriffs“ mit dem Begriff der „Substanz“ „als eines verborgenen, unbekannten Trägers der Eigenschaften“ halte ich auch für absolut richtig (auch ohne hierbei genauer auf die Ontologie eingehen zu wollen ;-).

    „Die Wirkungen von einem Körper zum andern durch das Vakuum werden nach der Theorie nicht durch einen stofflichen Äther übertragen, sondern das Vakuum ist von Zustandsgrößen erfüllt, z. B. von elektrischen und magnetischen Feldstärken, die nicht Zustände von irgend etwas, sondern selbständig für sich da sind und keines Trägers bedürfen. Ihr Wechsel, ihr Entstehen und Verschwinden stellt ein substratloses Geschehen dar, das dem Philosophen schon lange geläufig ist […] Die ponderable Materie wird schließlich in gleicher Weise in Zustandsgrößen (Vektoren und Tensoren) aufgelöst, und so besteht die Welt der modernen Physik nicht aus Dingen, Substanzen, an denen irgend etwas geschieht, die sich verändern und bewegen, sondern die letzten Elemente, aus denen das Universum sich aufbaut, sind Geschehnisse, Ereignisse.“

    Stimmt, diesen Teil könnte man fast für ein Whitehead-Zitat halten. Aber das deckt sich ja auch, da es ja letzenendes nur um den Prozess geht und nicht um die Entität selber. Ob man dies nun „Äther“ (schon etwas verbrauchter Begriff), „Raumzeit-Struktur, „Feld“ oder „Möglichkeit“ oder „Relation“ nennt. Immer geht es doch darum, dass sich etwas in einem Prozess erst konstituieren muss und nicht schon da ist. Wenn es einfach nur „da ist“, wie soll es ohne Wechselwirkung denn evident werden.

    Insofern halte ich die Begriffe, wie man sie auch immer nennen möge, für durchaus folgerichtig zur Beschreibung einer „Neuen Metaphysik“; vielleicht auch als „einheitliche Feldtheorie“. Wichtig fände ich nur in diesem Zusammenhang, wenn dies auch durch eine „empirische Äquivalenz“ unterstützt werden könnte. Aber was nicht ist, kann ja noch werden (Prozesscharakter ;-).

    Liebe Grüße
    Dirk

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    1. Lieber Dirk, neben einem Like wollte ich auch ein paar Dankesworte schreiben. Es ist schön, dass ich Deinen Nerv getroffen habe.
      War dir dieser alte Blickwinkel auf die neue Physik schon vertraut? Sprechen die Autoren des Strukturenrealismus auch mit Bezug auf die ART so? Ich hatte den Eindruck, man sah sich erst mit dem Blick auf die Eingenarten der Quantentheorie genötigt, ein Denken in Teilchen (die keinen Ort mehr haben und ihre Individualität aufgeben) in eine neue Form zu gießen. Man fand als diese Form einen Strukturenrealismus.

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      1. @ Dirk

        „Morgen geht’s an die Mosel zum APHIN-Vortrag,auf den ich mich schon sehr freue.“ (Dirk)

        Hab‘ am WE natürlich an Dich/Euch gedacht. Wirst Du demnächst darüber berichten?

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      2. Hallo Maria,

        vielen Dank, dass Du an mich gedacht hast.

        Ja, das Symposium war echt super. Ist doch etwas anderes als ein virtuelles „Zoomposium“ ;-).

        Kann ich geren mal machen, wenn Interesse besteht.

        Viele Grüße nach Berlin
        Dirk

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      3. Ja, das Thema mit dem „Strukturenrealismus und der Physik“ lässt mich nicht los ;-).
        Ich habe auch nochmal bei Ladyman/Ross/Spurrett/Colier „Every Thing Must Go: Metaphysics Naturalized“ (2007) geblättert, um etwas zu Deinem neuen Ansatz zu der „Äther-Theorie“ im ontischen Strukturenrealismus zu finden und das hier für Dich exzerpiert: „Psillos argumentiert, dass es eine Kontinuität zwischen den kausalen Rollen der Attribute des Äthers und denen des Feldes. Zum Beispiel besteht die grundlegende kausale Rolle des Äthers wohl darin, als Speicher für die Energie zu fungieren, die mit zwischen der Emission durch eine Quelle und seiner Absorption oder Reflexion durch die Materie.
        Licht bewegt sich bekanntlich mit endlicher Geschwindigkeit, also muss es sich in einem Medium befinden während es sich durch den ansonsten leeren Raum bewegt. Das elektromagnetische Feld wird nun als dieses Medium angesehen. Die Feststellung, welche kausale Rolle wichtig ist, erfolgt jedoch
        wichtig ist, erfolgt im Nachhinein. Unsere Einschätzung dessen, was wichtig ist was bei der Beschreibung optischer Phänomene wichtig ist, ist sehr relativ zu unserem aktuellen Wissenstand, ebenso wie jede Aussage über die relevante kausale Rolle einer postulierten
        unbeobachtbaren Entität. Wir wissen jedoch nicht, welche Teile der derzeitigen Theorien beibehalten werden, d. h. welche kausalen Rollen sie tatsächlich haben.
        Es stimmt, dass die wichtigen Prinzipien über das Licht (z. B. dass es sich transversal ausbreitet) Ausbreitung) in die Maxwell-Theorie übernommen werden, und tatsächlich gibt es viele Kontinuitäten zwischen den Äthertheorien und der Theorie des elektromagnetischen Feldes. Letztere ist jedoch inzwischen durch die Quantenfeldtheorien ersetzt worden, die vielleicht bald durch eine Theorie der Superstrings oder eine große vereinheitlichte
        Theorie der Quantengravitation ersetzt werden. Es ist unplausibel zu behaupten, dass „Äther“ sich immer auf ein Quantenfeld bezog, denn letztere haben eine völlig andere Natur als Maxwells elektromagnetischem Feld. Letzteres soll zum Beispiel den ganzen Raum durchdringen und an verschiedenen Punkten eine bestimmte Größe haben, während das erstere mehrdimensional ist und nur Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Größen beinhaltet (zumindest nach dem üblichen Verständnis).“ (S. 90, ins Deutsche übersetzt mit DeepL)

        Und zu Weyl und Deinem neuen Beitrag „Expedition in die Einheitliche Feldtheorie“ bin ich dort auf Folgendes gestoßen:
        „Weyl nutzt die Erkenntnisse, die er aus seiner Arbeit über Transformationen und Invarianten in der Relativitätstheorie, um seinen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der QM zu leisten.
        Die Wahl der Impulsraumdarstellung von Schrödinger läuft auf die die Wahl eines Koordinatensystems. Weyl sah sofort, dass die Proto-Theorien
        von Schrödinger und Heisenberg grundlegende mathematische Ähnlichkeiten aufwiesen. Er betrachtete sie daher in allen wichtigen Aspekten als verschiedene Versionen derselben Theorie:

        „[D]as Wesen der neuen Heisenberg-Schrödinger-Dirac-Quantenmechanik besteht darin in der Tatsache zu finden, dass mit jedem physikalischen System eine Menge von Größen verbunden ist, eine nicht-kommutative Algebra im technisch-mathematischen Sinne darstellt, deren Elemente deren Elemente die physikalischen Größen selbst sind.“ (Weyl 1931, viii)

        Weyl nimmt hier die Vereinheitlichung der Theorien durch von Neumann in seinem klassischenText über die QM vorweg, und tatsächlich zitiert Dirac in seinem Buch über die Theorie Weyl als den einzigen Autor, der die gleiche „symbolische Methode“ für die Darstellung der Theorie wie er selbst. Diese Methode, so Dirac, „befasst sich direkt abstrakt mit den Größen von grundlegender Bedeutung (den Invarianten etc. der Transformationen)“ und geht daher „tiefer in die Natur der Dinge“ (1930, vii). Dirac verwendet Vektoren und keine Strahlen im Hilbert-Raum wie Weyl und von Neumann, in seiner Behandlung der QM, aber sowohl er als auch Weyl erkannten dass der mathematische Status der beiden rivalisierenden Theorien der QM als alternative Repräsentationen der gleichen mathematischen Struktur die Präferenz für eine der beiden eliminiert werden kann, sobald ein einheitlicher Rahmen verfügbar ist.³¹

        Die Idee ist also, dass wir verschiedene Darstellungen einer physikalischen Struktur haben die ineinander transformiert oder übersetzt werden können, und wir haben dann einen invarianten Zustand unter solchen Transformationen, der den objektiven Zustand darstellt der Dinge darstellt. Repräsentationen haben nichts mit physikalischen Zuständen zu tun, aber sie ermöglichen uns empirisches Wissen über sie. Objekte werden durch die Identifizierung von Invarianten in Bezug auf die für den Kontext relevanten Transformationen. So sind nach dieser Sichtweise die Elementarteilchen Hypostasierungen von Mengen, die unter den Symmetriegruppen der Teilchenphysik invariant sind. Wenn wir zu den Eichtheorien Quantenfeldtheorien übergehen, ist die Gruppentheorie sogar noch wichtiger, da jede Theorie mit einer anderen Symmetriegruppe verbunden ist, und die Vereinheitlichung der Theorien wurde durch die Suche nach Theorien mit der entsprechenden kombinierten Symmetrie erreicht. (ebd. S. 160, übersetzt ins Deutsche mit DeepL)
        Sorry, für die „Zitat-Wand“, aber ich dachte, dass es Dich vielleicht interessieren und uns weiter bringen könnte.
        Liebe Grüße
        Dirk

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  3. Christian, vielleicht auch an dieser Stelle nochmal der m.E. wichtige Hinweis auf Albert Einsteins und Leopold Infelds Buch „Die Evolution der Physik“ (Rowohlt 1987), in dem die Autoren betonen:
    Angesichts der Erkenntnisse der modernen Physik, in der es nicht mehr um das Verhalten von Körpern gehe, sondern um das zwischen ihnen Liegende, es großer gedanklicher Kühnheit bedürfe anzuerkennen, dass „das Verhalten des Feldes (im Dazwischen, M.R.) für die Ordnung und das Verständnis der Vorgänge maßgebend sein könnte“. (Zitat a.a.O.)
    als pdf Datei: https://oiipdf.com/einstein-albert-infeld-leopold-die-evolution-der-physik

    Dirk, wenn ich das hier kurz einwerfen darf: das letzte wirkliche Einzelwesen ist gleichbedeutend mit „ein wirkliches Ereignis“; wirklich ist nur, was geschieht; das letzte wirkliche Einzelwesen ist nicht einfach da, sondern es ereignet sich, es wird; und es wird nur wirklich durch den Prozess, indem es sich und anderes erfährt.*)
    Hier greift der Zusatz (s. das Thesenpapier zu Whitehead v. 11. März 20123, M.R.):

    *) Zu beachten: Die Prozesshaftigkeit der mikrokosmischen wirklichen Ereignis-se/Einzelwesen haben nichts mit dem gewöhnlichen Prozess-Verständnis zu tun, das von der Substanzhaftigkeit dinghafter Entitäten ausgeht, die sich in einem gewissen Zeitraum bewegen und verändern können, ohne dabei ihr eigentliches Wesen zu verlieren; soz. wie unveränderbare Träger von Eigenschaften, die nur die Kleider wechseln.

    Wirkliche Ereignisse/Einzelwesen im Sinne Whiteheads sind sehr kurzlebige interrelationale Prozesse, die notwendig vergehen, wenn sie geworden sind. Das Wesen dieses elementaren Prozesses ist unlösbar mit dem wo es ist und wie es ist verbunden. Die internen Relationen zwischen Entitäten bestimmen deren Wesen vollständig; ihre Eigenschaften lassen sich nur durch ihre Bezogenheit auf andere wirkliche Ereignisse begründen. Wirklichkeit vollzieht sich nur im Zusammenwachsen von wirklichen Ereignissen zu Gesellschaften…)

    Dirk, Du bist mit diesen Aussagen sicher nicht zufrieden, fragst nach ‚empirischer Äquivalenz‘; ich frage mich, was kann, was sollte eine Metaphysik leisten?

    Danke Euch Beiden!
    Maria

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    1. Liebe Maria,

      vielen Dank nochmals für Deinen Hinweis auf Whiteheads Thesenpapier, dem ich vollkommen zustimmen kann. Genau so war meine „Kritik des Substanzbegriffs“ gemeint, wenn ich schreibe „Immer geht es doch darum, dass sich etwas in einem Prozess erst konstituieren muss und nicht schon da ist.“, genau wie Du Whitehead zitierst „sondern es ereignet sich, es wird; und es wird nur wirklich durch den Prozess.“ Also, weg mit der entitätsbasierten Metaphysik ;-).

      Wenn Du schreibst: „Wirkliche Ereignisse/Einzelwesen im Sinne Whiteheads sind sehr kurzlebige interrelationale Prozesse, die notwendig vergehen, wenn sie geworden sind. Das Wesen dieses elementaren Prozesses ist unlösbar mit dem wo es ist und wie es ist verbunden. Die internen Relationen zwischen Entitäten bestimmen deren Wesen vollständig;“ kann ich hier genau den Sound des ontischen Strukturenrealismus raushören. Vielleicht haben Ladyman/French auch nur bei Whitehead „geklaut“ ;-).

      Meine Frage nach der ‚empirischer Äquivalenz‘ von Metaphysik oder Deine Frage: „ich frage mich, was kann, was sollte eine Metaphysik leisten?“ würde ich so zu beantworten versuchen. Metaphysik bedeutet für mich nichts anderes als „(vor)-ausgesetzt sein“.

      „Man setzt der Physik etwas voraus, um es im Sinne der Peirceschen Abduktion im Nachhinein zu beweisen. Manches gelingt, manches nicht. Doch wo ist das Problem? Darf man nur immer im Nachhinein die Metaphysik ins Spiel bringen, um „Ungeklärtes“ doch noch erklären zu können? Warum nicht einmal den „red hat“ im „think tank“ aufhaben und Unorthodoxes denken? Tut keinem weh, kann aber sehr produktiv sein.“ (Hatte ich Bernd schon einmal in einem Kommentar geantwortet).

      Soll heißen, klar kann man Metaphysik als „Grundlagenforschung“ betreiben, man muss nur irgendwann einmal auch die „empirische Äquivalenz“ um nicht zu sagen „empirische Adäquatheit“ ins Spiel bringen, ansonsten fängt man sich eine „Theorienunterbestimmtheit“ (TUB) ein.

      Viele Grüße
      Dirk

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  4. Splittergedanken zu Ereignishaftigkeit:

    Mir fällt auf, dass Meteorologen immer öfter von Wetterereignissen sprechen; sie sagen nicht, wir erwarten Regen, sondern: Das Ereignis Regen wird erwartet… Nun könnte man annehmen, das gelte nur für subjektiv als extrem oder außergewöhnlich wahrgenommene Wetterlagen, aber ich denke, dass es hier um eine tiefer liegende semantische Ebene geht.
    Selbst wenn jeder weiß und genau sagen kann, wie Regen entsteht und wo und wann und warum… : Regen muss sich letztlich ‚ereignen‘, damit alle Vorbedingungen und Zustände zum Tragen kommen., Wirklichkeit werden.

    Und ich wage einen weiteren Splitter hinzuwerfen – wohl wissend, dass der voll ins Auge gehen kann – aber ich will ja was lernen.

    Der Begriff KRAFT wird in der Physik (Mechanik) selbstverständlich als grundlegende physikalische Größe definiert, die auf einen Körper einwirkt, ihn beschleunigt, seine Richtung ändert etc… ich frage mich, was das eigentlich sei, diese Kraft; auch wenn wir uns alle möglichen definierten Kräfte aufzählen, die Frage bleibt, was ist eigentlich Kraft?

    Damit z.B. dieser Karren hier vor mir sich wirklich bewegt, gezogen oder geschoben werden kann, muss die physikalisch definierte statische Kraft in Wirklichkeit doch erst in Gang gesetzt werden; sie muss ’sich wirklich ereignen‘, sonst bleibt sie potentia, und der Karren bleibt stehen bis ans Ende der Welt, nicht wahr?

    Auch wenn dieser Gedanke aus physikalischer Sicht Unsinn ist, bleibt für mich die für mich wichtigere Frage, warum der dynamische, auf die Wirklichkeit bezogenen Begriff ‚Ereignishaftigkeit‘ von (klassischen) Physikern in Frage gestellt, als zu vage abgelehnt und verworfen wird.
    ?

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  5. @ Christian @Dirk

    Kraft – Ereignishaftigkeit…?

    Wie gesagt, mein letzter Kommentar ist vielleicht nicht einmal diskussionswürdig; ich bitte Euch dennoch – wenn irgend möglich – mir ein feedback zu geben, um entweder die Frage ganz ad acta zu legen oder neu zu formulieren, neu zu (über)denken.
    Danke für Eure stets inspirierenden Gedanken, Impulse.
    Sommer!
    Gruß aus Berlin

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    1. Liebe Maria,

      ich bin zwar kein „Vollblut-Physiker“, sondern musste nur im Zusammenhang mit meinem Chemie-Diplom-Studium einen Physik-Schein machen, aber ich kann mal versuchen, in Ermangelung der anderen fehlenden Zunft-Mitglieder, Deinen „Splitter“ aufzuheben und etwas daraus zusammen zu kleben ;-).

      Meines Erachtens könnte der Begriff der „Ereignishaftigkeit“ in der Physik abgelehnt werden, da ihm ein prospektives, um nicht zu sagen teleologisches „Geschmäckle“ anhängt. Der Zeitbegriff ist ja, wie schon häufig erwähnt, eh schon sehr problematisch in der Sichtweise der „Alten Metaphysik“ (also vor Whitehead), da er für die Realisierung von physikalischen Zuständen eher sekundär ist, es sei denn man möchte Geschwindigkeiten oder andere Zustandänderungen messen, die abhängig sind von der Zeit.

      Noch schlimmer wird es aber in den Ohren eines Physikers, wenn man eine Prognose zu möglich eintretenden Zuständen treffen will, dann ist man in ihren Augen schnell in der „Chaostheorie“ (bescheuerter Begriff für etwas derart Symmetrisches 😉 oder in der „Esoterik“, da der Physiker an sich lieber nur das, was „da ist“ messen möchte und nicht das, „was kommen mag“.

      Daher ist das, was Du schreibst aus meiner Sicht vollkommen richtig: „ Regen muss sich letztlich ‚ereignen‘, damit alle Vorbedingungen und Zustände zum Tragen kommen., Wirklichkeit werden“

      Das erinnert mich stark an Bernds Konzept der „Möglichkeiten“. Aber trifft den Nagel auf den Kopf. Daher war Herr Laplace ja auch so dämonisch an „allen Vorbedingungen und Zustände“ interessiert, um das ganze wieder berechenbarer zu machen und damit physikalischer.

      Noch schlimmer steht es aber nach meiner Auffassung, um den „Kraft“-Begriff bestellt, den Physiker bis heute nicht präzise, geschweige denn ontologisch fassen können. Da geht es schon mal um die „Fähigkeit zu einer Wirkung“ von zwei oder mehreren Entitäten, der „Äther“ als „Träger der Kraftwirkung“ wird schon mal genannt (Christian sieht hier ja auch eine Renaissance allerdings in einem anderem Zusammenhang ;-), dann kommen „ physikalische Felder“ ins Spiel, wo der „Ball hin und her gedribbelt“ wird und natürlich dürfen auch die „Teilchen in der Feinstruktur“ als Austausch der „Bosonen“ nicht fehlen.

      Alles tolle Theorien, aber die besagte „empirische Adäquatheit“ hingt dem immer noch hinterher. Um es kurz zu machen. Wir wissen einfach noch nicht genau, was „Kraft“ eigentlich ist, wir können nur beschreiben/messen wie sie wirkt. Meines Erachtens hängt dies aber ebenso mit dem überholten „Materie“-Begriff zusammen, da „Kraft“ für mich persönlich auch nichts mit Materie zu tun hat, sondern besser als strukturales Phänomen beschrieben werden könnte. Christian kriegt das auch prima mit seinem „Feld“-Begriff hin ;-).

      Ich hoffe, ich konnte hier irgendetwas Verwertbares beitragen und wünsche Euch allen schöne Sommerferien

      Liebe Grüße
      Dirk

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      1. Danke, lieber Dirk und liebe Maria, für den Gedankenaustausch hier! Leider werde ich noch nicht sehr warm mit dem Thema, mich nur mit Strukturen oder Prozessen zu begnügen. Mir fehlt die mathematische Ernsthaftigkeit und Notwendigkeit.
        Habe nun endlich wissenschaftliche Abhandlungen auf dem Tisch, welche sich primär mit den einheitlichen Feldtheorien beschäftigen. Für mich gerade sogar neu, dass auch Hilbert kräftig in der Feldsuppe nach Vorarbeiten von Mie, Weyl und Einstein rührte! Es bleibt spannend auf meiner Expedition in die Raumzeit! LG, Christian.

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      2. Danke, @Dirk! für Deine stete Geduld und Sorgfalt in allen Fragen.

        Impliziert ‚Ereignishaftigkeit‘ tatsächlich notwendigerweise ‚Voraussage‘?
        Ist ‚Ereignishaftigkeit‘ nicht eher eine Art happening hier und jetzt; ein spürbares, wirkliches Stück Wirklichkeit, das genau in diesem Moment vor Ort gemessen werden kann? Mehr Empirie geht ja kaum, oder?

        … Es macht dann wohl auch keinen Sinn, eine solche Frage zu Kraft – Ereignishaftigekeit bei philosophies mit anderen ‚Zunft-Mitgliedern‘ zu stellen?

        Habt Ihr schon Sommerferien?
        In Berlin erst ab Mitte Juli.
        Ich wünsche Dir gute Erholung und viele neue geniale Ideen!
        Maria

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      3. Hallo Maria,
        gerne, das ist doch der Grund, warum wir hier sind ;-).
        Klar, kann man den Begriff „Ereignishaftigkeit“ auch auf seinen „Kern“ zurückführen, dass etwas ein „Ereignis“ „anhaftet“, aber meistens wird hier doch schon etwas erwartet.
        Klar, das wäre „Empirie“ im wahrsten Sinne des Wortes, weil man ja etwas erfahren möchte.
        Ja, wir haben schon Sommerferien in NRW, gottseidank.
        Morgen geht’s an die Mosel zum APHIN-Vortrag,auf den ich mich schon sehr freue. Wechselklamotten, wegen der geworfenen „faulen Tomaten“ habe ich schon eingepackt ;-).
        Dank Dir, ich wünsche Dir auch eine entspannte Sommerzeit und liebe Grüße nach Berlin
        Dirk

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